Es ist ungefähr 6 Uhr am Morgen. Ich stehe vor der Hütte und halte meinen dampfenden Kaffee in der Hand. Vor mir erstreckt sich eine weiße Schneelandschaft, durchzogen von Felsen und Zwergbirken. Unsere Hunde sind angeleint an ihren Schlafplätzen und wachen langsam auf. Nur Aila, meine Leithündin, ist bereits wach und schaut mich freudig an. Als ich zu ihr gehe um sie zu streicheln legt sie eine Pfote auf meine Schulter und drückt ihren Kopf an meinen. So hocken wir eine Zeit lang zusammen und genießen ruhige Momente inmitten der arktischen Landschaft Nord-Norwegens.

 

 

PURE ICE – Was kultursensitiv mit nachhaltig verbindet:

Gemeinsam mit meiner Frau Steffi, die meine Ideen seit Jahren mit unglaublicher Geduld mitträgt, ziehe ich immer wieder durch diese Natur. Innerhalb dieser Landschaft sind uns mit der Zeit aber zunehmende Veränderungen aufgefallen: Mal waren es auffällige Wetterveränderungen, mal untypische Wanderrouten der Rentiere. Da das eigene Erleben natürlich nur ein Anfang sein kann, beschäftigten wir uns in den folgenden Jahren umfassender mit dem Thema Umweltveränderungen in der Arktis. Unvoreingenommen und offen, aus dem puren Interesse herauszufinden, ob auch andere Menschen unsere Beobachtungen teilen. Und was wir herausfinden konnten wurde für uns zu einem Shift in der Sicht auf eines der letzten großen Wildnisgebiete Europas: Was aussieht wie eine unberührte Natur ist in Wahrheit ein in der Veränderung befindliches, sehr sensibles Ökosystem und Gradmesser für den Klimawandel.

Die nördlichen Gebiete unserer Welt ändern ihre Temperatur fast drei Mal so stark wie alle anderen Klimazonen. Eine weltweite durchschnittliche Klimaerwärmung um 2 Grad, was laut neuerer Studien wahrscheinlich ist, bedeutet aber nicht nur eine arktische Erwärmung um mindestens 6 Grad: Es bedeutet unter Anderem auch, dass die Arktis im Sommer eisfrei ist und der Permafrostboden taut, was zu einer Freisetzung von abgelagerten Schadstoffen wie Quecksilber führt. Dadurch besteht die Gefahr, dass sich Umweltveränderungen wie Klimawandel oder auch der Verlust der biologischen Vielfalt innerhalb der Arktis quasi selbst beschleunigen (ein Zusammenhang den ich in Der Hundling- Magazin Ausgabe 01/2022 näher erläutert habe).

 

 

Ein anderes Beispiel für die Schadstoffbelastung der Arktis sind durch Menschen direkt eingebrachte Stoffe und dabei vor allem Mikroplastik. Und hier ist der Ansatzpunkt unserer PURE ICE-Expedition: Als Menschen bewegen wir uns in der Arktis und sind gleichzeitig verantwortlich für die Ablagerung von Mikroplastik, einem Material das so nicht in der Natur vorkommt und welches nur durch uns in die Wildnis eingebracht werden kann. Die Frage war also: Wenn wir davon ausgehen, dass Mikroplastik bereits überall auf der Welt gefunden wurde (vor einigen Wochen übrigens das erste Mal in menschlichen Lungen und menschlichen Blut), finden wir auch in einer scheinbar unberührten Wildnis Mikroplastik und was bedeutet dies für die Menschen vor Ort?

Klimaerwärmung bedeutet eben viel mehr als wärmeres Wetter: Als Erste werden die Einwohner arktischer Gebiete, vor allem die indigenen Sami Veränderungen erleben. Durch die Veränderungen im Klima, verändert sich auch das Wetter. Als Folge kommen immer mehr und heftigere Stürme sowie wechselhafte Temperaturen vor. Aus diesem Mix entsteht eine große Gefahr für die Kultur der Indigenen, die eng verbunden ist mit der jahrtausende alten Tradition des Rentierhütens. Denn folgen auf warme wetterperioden Stürme, wird der nasse Schnee weit über das Fjell abtransportiert. Dort lagert er und vereist, wenn es blitzartig kälter wird. So entsteht eine dicke Eisschicht, die die Rentiere nicht mehr durchdringen können und somit keine Nahrung mehr finden.

 

 

Wir begannen also damit unsere Expedition zu planen. Mit Motorschlitten zu fahren, was naheliegend ist, war für uns undenkbar: Wie können wir nach Umweltverschmutzung suchen und gleichzeitig mit Motorschlitten fahren? Außerdem haben viele andere arktische Expeditionen bewiesen, dass es nur eine Fortbewegung gibt, die wirklich verlässlich in arktischen Stürmen bleibt: Der Hundeschlitten. Wir hörten viele Absagen auf der Suche nach Partnern: Zu schwierig sei das Unterfangen mitten im Winter, in einer Zeit die von Stürmen, Schneelawinen und Dunkelheit geprägt ist. Zu viele Unabwägbarkeiten und ein längerfristiges Projekt dieser Art sei für viele Menschen schlicht nicht im Alltag nachvollziehbar.

 

 

Am Ende haben wir unter anderem mit Der Hundling und weiteren großen Partnern aus dem Bereich Hundesport und Outdoor dann aber eine Gruppe gefunden, die unsere Expedition genauso wichtig findet wie wir und sieht, dass Nachhaltigkeit eben nicht vor der eigenen Haustüre endet….und die erkennen, dass der Verlust indigener Kultur und Tradition auch für Mitteleuropa direkte Folgen hätte, denn durch den Verlust dieser Kultur verschwindet auch das Bewusstsein für eine Art des Zusammenlebens mit Tieren. Ein Bewusstsein, welches gerade für uns Hundesportler wichtig ist.

Wie man TeilnehmerIn einer Schlittenexpedition wird:

500 Kilometer über dem Polarkreis, 8 Tage Wildnis, circa 250 Kilometer Strecke und Temperaturen bis zu -35 Grad Celsius: Die Rahmenbedingungen der Expedition sind anhand dieser Zahlen schnell und prägnant erklärt. Wenn ich gefragt werde, was eine Expedition denn ausmacht, geben diese Zahlen aber letztlich nicht viel her. Denn was es wirklich bedeutet 8 Stunden und mehr auf einem Hundeschlitten zu stehen nur um dann noch die Hunde zu versorgen, bevor man müde in das Etagenbett der Berghütte fällt, das wird den meisten Menschen erst klar, wenn sie im äußersten Norden von Europas Festland ankommen und zum ersten Mal lernen, wie man die richtigen Portionen für Hundesnacks vorbereitet, berechnen müssen, wieviel ein Team pro Tag frisst und wie man die gesamte Ausrüstung sturmsicher auf seinem Schlitten verteilt. Eine große mentale Herausforderung auf die eine noch größere Körperliche folgt. Denn Schlittenfahren bedeutet eben nicht nur auf den Kufen stehen und die Naturgenießen. Es bedeutet genauso bergauf laufen, bergab bremsen, den Schlitten durch Tiefschnee zu ziehen oder vor den Hunden her zu laufen.

 

 

Dazu kommen die Herausforderungen einer wissenschaftlichen Probenentnahme auf der Reise. Hunde sichern, Löcher ins Eis hacken, Proben entnehmen und Equipment transportieren. Alles auf offener Fläche, ungeschützt von Wind und Schneefall. Trotz unserer Sponsoren nehmen wir immer auch interessierte Teilnehmende mit. Wir stehen hinter der Idee, dass mehr Menschen die arktische Natur aktiv erleben müssen und erleben sollten, was es bedeutet die jahrtausende alte kulturtechnik Hundeschlitten fahren zu erlernen. Naturschutz bedeutet für uns auch Partizipation. Teilnahme und Mitgefühl in einer Umgebung die so gefährdet ist, wie vielleicht nur wenige andere auf der Welt, die aber gleichzeitig auch so viele Chancen bereit hält, um neue Ideen zu entwickeln und Konzepte von Nachhaltigkeit zu prüfen.

Unsere Expeditionen sind dabei so ausgelegt, wie es die frühestens Trainingslager waren, in denen Forschende wie Amundsen und Shakelton lernten: Als Guides sind wir immer ansprechbar, halten Herausforderungen und Eigenverantwortung der Teilnehmenden aber für essentiell. Konkret bedeutet dies, dass wir zwar gemeinsam üben, wie man für die Hunde sicher einen Schlitten fährt, auf der Expedition sind aber alle Teammitglieder selber für ihr Hundeteam verantwortlich. Oft bekommen wir die Frage gestellt, welche konkreten Anforderrungen wir stellen und antworten dazu gerne: Wenn du nach 8 Stunden Dunkelheit noch bergauf laufen, deinen Schlitten aus dem Tiefschnee ziehen und danach fröhlich gestimmt für deine Hunde sorgen kannst: Komm mit!

 

 

PURE ICE ist ein gleichnamiger Dokumentarfilm über eine weltweit erstmalige Expedition mit Hundeschlitten in der norwegischen Finnmark mitten in der Polarnacht auf der Suche nach Mikroplastik und indigenen Lösungen für die Klimakrise. Mehr über das tolle Projekt und die Menschen dahinter erfährst du unter: www.nordgehen.de